Kolumne des Monats
März 2014

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Der Zug der Zeit

Kaum hat die Deutsche Bahn einen fahren lassen, einen Doppelstockzug mit dem Namen „Jenny Marx“ in Richtung ihrer Geburtsstadt, schon gibt’s Ärger. In Stendal. Das ist zwar nicht Jennys Geburtsstadt, aber auf dem Weg nach Salzwedel fährt der Zug durch Stendal. Und da hat jetzt eine Lehrerin an der Comenius-Schule am Ende einer Lesung, in der die DDR wieder mal zum Unrechtsstaat erklärt wurde, die DDR verklärt. Sie hat gesagt, ich überspitze jetzt mal, die DDR bestand nicht nur aus Stalin, Stasi und Stacheldraht, sondern es ging auch jeden Tag die Sonne im Osten auf und im Westen unter. Richtig hätte sie aber sagen müssen, dass die Sonne im Westen aufging und im Osten unter. Das wäre zwar wissenschaftlich Unsinn, aber politisch korrekt gewesen. Nach heutiger Geschichtsschreibung hat nämlich im Osten alles unterzugehen. Auch die Sonne. Deshalb ist es ja auch so gefährlich im Zusammenhang mit der DDR überhaupt von Sonne zu sprechen. Die Sonne wird im Volksmund ja auch „Klärchen“ genannt. Und so kommt es ganz schnell zur Verklärung der DDR. Dabei hatte die Lehrerin sich nur an das pädagogische Vermächtnis des Namensgebers ihrer Schule gehalten, des mährischen Pädagogen Jan Amos Komensky. Sein Grundsatz lautete nämlich: „Alle alles in Rücksicht auf das Ganze zu lehren.“ Also, alles von allen Seiten zu betrachten. Als wäre das nicht schon schlimm genug, fährt nun auch noch die „Jenny Marx“ durch Stendal, dabei liegt vielleicht im Gepäcknetz ein Buch ihres Mannes Karl, in dem steht, dass sich die menschliche Erkenntnis der absoluten Wahrheit durch relative Wahrheiten immer nur nähern kann, ohne einen endgültig en Abschluss zu finden. Stellen wir uns dazu einmal vor, die DDR steht vor Gericht. Der Staatsanwalt redet in seinem Plädoyer von Mauertoten, fehlender Reisefreiheit und Stasi. Der Richter sagt: „Da haben sie recht.“ Dann spricht der Verteidiger von sicheren Arbeitsplätzen, kostenlosem Gesundheitssystem und bezahlbaren Mieten. Da sagt der Richter: „Da haben sie recht.“ Darauf meldet sich ein Schöffe und sagt: „Herr Richter, die können doch nicht beide recht haben.“ Worauf der Richter sagt: „Da haben sie auch wieder recht.“ Wer kann da ein absolutes Urteil sprechen, wo doch alles nur relativ ist. Oder wie es in einem jüdischen Witz heißt: Wenn du mir deine Nase in den Hintern steckst, haben wir beide eine Nase im Po. Aber ich bin relativ besser dran.