Wanderungen durchs Land - Die nördlichsten Orte Sachsen-Anhalts

Wanderungen durchs Land




TEIL 1 - Die nördlichsten Orte Sachsen-Anhalts
Eindrücke von Aulosen, Wanzer, Pollitz und Wahrenberg

Taufengel an der Kirche AuslosenHinter den vielen Bergen, unweit der tiefen Wälder und der großen Städte, liegt hoch im Norden Sachsen-Anhalts ein Landstrich, der den Eindruck erweckt, als hätte der Wanderer bereits das friesische Nordmeer erreicht. Marschland, tiefe, flache Ebenen, Seen, Bruch, von Wasser übersättigte Felder und Wiesen. Ein Vogelparadies, ein Paradies für die Sinne, den Blick entgleiten zu lassen über eine ruhende Landschaft. Bauernhöfe im niedersächsischen, im mecklenburgischen Stil, alte Höfe, Fachwerkhäuser und Wassergräben, vielleicht einst angelegt von den Wenden, den Deutschen oder gar den angeworbenen Holländern. Hier ist das Land nicht nur flach, sondern die Sprache auch häufig Platt. Der Aland breitet sich aus (er braucht seinen eigenen Deich), denn hier ist Hochwasserland, Elbland. Ich treffe mich mit einer Freundin an der Kirche in Aulosen. Denn hier stieß ich Wochen vorher auf eine interessante Geschichte, die der Dorflehrer Westphal 1873 in einer Schul- und Ortschronik niedergeschrieben hatte. (Und was für ein Zufall, sie ist auch Lehrerin.) Er berichtet vom Besitzer all der Güter hier aus der Zeit vor 500 Jahren, einem Freiherrn von Jagow. Ja, die Jagows sind hier tief eingekerbt, überall an und in den Kirchen taucht es auf das Wagenrad, das Wappenzeichen derer von Jagow. Der einstige Freiherr von Jagow, so berichtet der Lehrer Westphal, lebte glücklich, weil recht vermögend und jung verheiratet, auf seinem Gutshaus in Stresow. Doch in dieser Zeit drängte das Osmanische Reich näher und näher an das damalige Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Der Kaiser rief seine Ritter zum Krieg wider die Türken. Auch der Herr von Jagow musste losziehen und wurde bei einer Schlacht gefangen genommen. Da er kaum eine Chance sah, je wieder nach Hause zu kommen, versprach er einer jungen Türkin, dass er sie gar heiraten würde, wenn sie ihm die Flucht ermögliche. Sie sagte zu. Beide flohen und kamen nach vielen Wochen vor seinem Gutshaus an. Die Leute erkannten ihn nicht, so elend sah er aus. So bat er vorerst um etwas zu essen. Und da es zum Mittag Erbsensuppe, gedünstete Mohrrüben und Kartoffeln gegeben hatte, gaben sie den beiden Bettlern die Reste davon. Am Ende schenkten sie ihnen noch ein halbes Brot als Wegzehr. Doch in diesem Augenblick gab er sich zu erkennen, erzählte seiner Frau von Gefangenschaft und Flucht. Sie war überglücklich, ihn lebend wieder zu sehen und akzeptierte, dass er die Lebensretterin gleichsam heiratete. Es soll dennoch eine glückliche Beziehung zwischen den Dreien gewesen sein. Seite an Seite wurden sie in der Kirche Groß Gartz beerdigt. Und das Beachtenswerte an dieser Begebenheit ist, dass hunderte Jahre arme Kinder und Sieche an dem Tag der Wiederkehr des Herrn von Jagow auf das Gut eingeladen wurden, um sie mit Erbsensuppe und Möhren zu beköstigen. Eine herzerwärmende Tradition, von der aber nicht überliefert ist, wann sie denn eingestellt wurde. Denn der junge Mann, der uns nun mit Schlüssel bewaffnet in die Kirche Aulosen einließ, wusste von solch einem Brauch in unseren Tagen nichts mehr. Die Kirche selbst ist sehr sehenswert. Ein Taufengel schwebte uns entgegen, Epitaphe zweier Herren von Jagow und die barocke Aussstattung, zeugen von der Bauzeit (1730) und den einstigen Bauherren. Immerhin war einer ihrer Vorfahren recht berühmt und einflussreich. Matthias von Jagow, 1490 in Aulosen geboren, war 1527 bis 1544 Bischof von Brandenburg und Reformator im Brandenburgischen. Büsten von ihm fanden Platz im Brandenburger Dom und auf der damaligen Berliner Siegesallee.

Von Auslosen führt uns der Weg nach Stresow besser gesagt, nach einer Gedenkstätte, die an diesen Ort an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze erinnert. 1952 wurden bereits viele Bewohner zwangsausgesiedelt, 1974 wurden die Gebäude des Dorfes vollends niedergelegt. Ein Dorf war einfach verschwunden. Das Schlimme ist, dass die Historie von einem Brand im Jahre 1922 spricht, bei dem das ganze Dorf fast gänzlich zerstört, aber danach mit viel Mühe wieder aufgebaut wurde. Unfassbar. Es gibt einfach böse Geschichten. Hier errichtet wurden neben dem Gedenkstein an Stresow auch ein Abschnitt der Grenzanlagen. Auf einer Aussichtsplattform am Aland treffen wir auf einige Hobbyornithologen und Tierfotografen, die hier den einzigartigen Blick über die Auenlandschaft für Vogelbeobachtungen nutzen. Und liebenswürdiger Weise gewähren sie uns durch ihre Optiken eine Nahsicht auf Kranich, Storch und Seeadler.
Nun zieht es uns nach Wanzer - auch von diesem Ort gibt es bis heute eine deutsche und eine wendische Siedlung. Klein Wanzer war ehemals der wendische Ort, recht abgelegen vom deutschen Dorf Wanzer, welches uns gleich am Ortseingang mit einer funktionstüchtigen Bockwindmühle begrüßt. Das Arreal hier ist sehr gepflegt und ruft förmlich nach vielen Besuchern. Es geht an einem Kriegerdenkmal vorbei in Richtung Pollitz.

Epitaph an der Kirche PollitzIn Pollitz treffen wir auf eine interessante Kirche, deren Turm (1741) von Wehrhaftigkeit zeugt. Erstmals er wähnt wird Pollitz 1208 im direkten Zusammenhang mit dem heutigen Dorf Deutsch. Einst hießen beide Pollitz, Deutsch-Pollitz und Wendisch-Pollitz. Aus dem wendischen Dorf wurde schließlich Pollitz und zur Unterscheidung blieb beim anderen Ort der Name Deutsch. Auch hier treffen wir auf dem Friedhof das alte Adelsgeschlecht der Jagows. Kurioserweise standen diese 1475 im Streit mit denen von Gans zu Putlitz aus der Prignitz um die Gänseburg bei Scharpenhufe. Markgraf Johannes entschied diesen für die Jagows.
Also auf nach Scharpenhufe. Schon von weitem leuchtet das Gutshaus, welches seit Jahrhunderten im Besitz der Jagows ist. Auch heute wieder. Nach der Wiedervereinigung kauften sie das 1945 enteignete Gutshaus zurück. Ein wunderschönes Gebäude, doch leider ist es von innen nicht zu bestaunen.
Na dann los zur letzten Station: Wahrenberg an der Elbe. Hier liegt am Deich ein kleines Café „Anne-Elbe“, welches uns nach langer Tour bewirtet. Bei wunderschönem Sonnenschein schauen wir zufrieden über die Elbe, sehen ein Schubschiff vorbeiziehen und freuen uns über den Blick zur Kirche hinter dem Deich, an dessen Anfängen vielleicht sogar jene holländischen und friesischen Deichbauern Hand anlegten, die Albrecht der Bär im 12 . Jahrhundert in die Altmark holte. Ich bedanke mich bei meiner Weggefährtin und empfehle diese Tour gern weiter.

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